"Heute wird ja jeder gleich gecancelt, wenn er mal was Falsches sagt."
"Heute wird ja jeder gleich gecancelt, wenn er mal was Falsches sagt."
Also für das, was ich früher so im Internet in Videos von mir gegeben habe, da würde es heute aber richtig Schallern, das sag ich euch, von mir selber, an mich. Ich mache seit 15 Jahren Videos im Internet. Ich wurde in Offenbach am Main geboren und ja, manche Klischees stimmen.
Was denkt ihr, hab ich für nen Schulhof-Slang drauf gehabt ... Uff. Zudem war das unter “Gamern” cool und ich hatte endlich eine Bubble, zu der ich dazugehörte. Und nein, da war ich kein Teenager. Ich war da schon deutlich älter und muss sagen, sozial auch ganz schön spät dran mit meiner Entwicklung. Aus Gründen.
Alles, was mich gestört hat, war direkt "behindert", was cringe ist, denn ich dachte, das sagt man, weil einen etwas BE-hindert von Hindernis - und das hab ich geglaubt, weil ich alles wörtlich nehme, WEIL ICH TATSÄCHLICH BEHINDERT BIN AHAHAHA (Autismus) ... Ja nun.
Tatsächlich habe ich viele Worte und Verhaltensweisen einfach kopiert. “Wenn andere das sagen, wird es schon passen. Wenn ich nachfrage, halten sie mich wieder für seltsam.” Ich wollte gleichzeitig unsichtbar, aber auch gemocht werden. Das ist eine gute Vorraussetzung, um schädliche Strukturen aufzusaugen, ohne es zu merken. Ich hab mich vom Hinterfragen selber abgehalten, weil ich nur darauf aus war, mich anzupassen. Während mich das selbst kaputt gemacht hat, hab ich mich nebenbei natürlich auch nicht entwickelt - und schön reproduziert, was die Gesellschaft so von sich gab. Zudem bin ich ein late 80er Kind. Aufklärung über diese Themen schwabbte mir erst sehr spät an den Strand. Das Wort Ableismus habe ich glaube ich das erste Mal vor 5-6 Jahren gehört. Da war einfach keine Sichtbarkeit um mich herum. Auch wusste ich nichts von internalisierten -Ismen. Natürlich sind für mich alle Menschen gleichwertig, dann kann ich ja nicht rassistisch sein, oder? Teilweise gab es aber da doch Denkmuster, die rassistisch waren und Sprache, die unbewusst rassistisch war, so wie Unverständnis für die Situation von Betroffenen, die zu rassistischen Aussagen geführt hat. Ich könnte das jetzt hier ausführen, aber ich mag nichts reproduzieren, von dem ich nicht betroffen bin. Da kann ich nicht abschätzen, wie unangenehm es ist. Ich will ja hier auch gar nicht erklären sondern nur von meiner Erfahrung berichten.
Also weiter im Text: Sicher, Absichten sind enorm wichtig für den Kontext - ich wollte das ja nicht. Nur, wenn ich das nicht wollte, musste ich daran arbeiten. Und da beginnt es. Canceln oder nicht canceln?
Als vor ein paar Jahren meine Gaming-Bubble geplatzt ist, ich neue Leute kennengelernt habe und ich durch immer mehr Sichtbarkeit Betroffener im Netz endlich erklärt bekam, was solche Worte wirklich bedeuten, was sie auslösen - na da hab ich dann halt hart gearbeitet, Fluchen neu zu lernen.
Wenn mich jemand auf etwas hinweist, ist es nicht gleich canceln für mich. Es kann nur zu Konsequenzen kommen, wenn man solchen Hinweisen mit Ablehnung entgegnet, aber die Konsequenzen ziehen dann andere für sich selbst.
Entweder ich ziehe Konsequenzen oder andere machen das für sich und somit auch für mich.
Die Leute canceln dann ihren Support, ihre Zuneigung, weil Werte nicht übereinstimmen. Ich persönlich empfinde das als völlig fair.
Natürlich gibt es immer eine Handvoll Leute, die übertreiben und bei internalisierter abwertender Sprache sehr eindeutige Drohungen schreiben, die oft deren eigene Kritik übertreffen. Für die ist das keine Aufklärung, sondern ihr eigenes persönliches Machtspiel. Doch die sind selten.
Das macht aber die Aussagen anderer Botschafter von Aufklärung nicht ungültig.
Was ich aber eigentlich teilen wollte, ist das Resultat: Sprache und vor allem Schimpfworte zu hinterfragen hat mich auf schadhafte Strukturen in unserer Kommunikation geführt, die mich selbst abgewertet haben. Strukturen, von denen tatsächlich Machtpersonen profitieren.
"Du bist dumm" war für meine Lehrer halt leichter, als zu hinterfragen, wieso das Kind 1en und 6en sammelt und sich so "anders" verhält, so mussten sie mir nicht helfen.
Sich davon loszulösen, war wortwörtlich heilsam.
Mir wurde nichts weggenommen, weil ich "Worte nicht mehr sagen darf". Ich will diese Worte gar nicht mehr sagen. Mit dem Verständnis für das "Warum" wurde mir enorm viel geschenkt. Die Macht, die so ein einfaches Wort wie "dumm" über einen selbst haben kann, wenn man an dessen abwertende Richtigkeit glaubt, ist enorm.
Ich hab meinen Lehrern lange Zeit geglaubt und das hat mich fast kaputt gemacht.
Ich wurde nie gecancelt, ich hab das selbst gemacht. Und daraus erwuchs nur Gutes.